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Der Scharfrichter
Ein Scharfrichter von Osterode hat vielen Leuten geholfen, die kein Arzt gesund machen konnte. Daneben konnte er bannen und zeigte dies sogar zum Vergnügen seiner Freunde; als er einmal oben auf Klausthal war und daselbst mit einem Freunde auf der Straße stand, während gerade die Kühe ausgetrieben wurden, bannte er demselben zum Spaß zwei Frauensleute auf der Straße fest, und sie mußten dort stehen, bis der Kuhhirt wieder eintrieb. Ein Dieb stahl ihm zu Osterode in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag in seinem Garten Kohl, den bannte er mit dem Kohl auf der Gartenmauer fest, bis die Leute zur Kirche gingen. Da aber brachte er einen Schweinskopf, reichte ihn dem Dieb auf die Mauer und sprach: er wolle ihm auch Fleisch zu seinem Kohl geben, und ließ ihn laufen. Sein Meisterstück aber machte er an Hans von Eisdorf. Zwei Jäger, die auf Hans von Eisdorf schossen, bannte dieser Ritter fest, zog ihre Kugeln aus seiner Tasche hervor und gab sie ihnen zurück. Später, nachdem der Bann vorüber war, schoß einer der Jäger nach ihm mit einem Mathier, das ist ein altes goslarsches Vierpfennigstück mit dem Bilde des heiligen Mathias als Schutzpatron der Bergwerksstadt Goslar. Obgleich mit dem Mathier schon Mancher getödtet ist, der sonst kugelfest war, prallte er doch machtlos vom Ritter ab. Diesen Hans von Eisdorf traf er in einer Wirthsstube und machte ihn dort im Zimmer »wisse«, d. h. er bannte ihn. Da zeigte es sich nun, daß der Scharfrichter doch noch stärker war, und Hans von Eisdorf wurde auf dem Richtplatze mit vier Ochsen auseinandergerissen.
Einst ward auf der Neustadt in einem Ziehbrunnen ein neugeborenes Kind gefunden. Der Magistrat untersuchte, konnte aber die Mutter nicht ausfindig machen. Da wandte er sich an den Scharfrichter und versprach zu thun, was der vorschrieb. Der ließ also alle Mädchen der Stadt aufs Rathhaus kommen und dort mußte eine nach der andern in des Scharfrichters Gegenwart das todte Kind anrühren. Als nun die Mutter das Kind berührte, kam Blut aus demselben und sie bekannte auf der Stelle. Der nämliche Scharfrichter hat die Kindesmörderin alsdann gerichtet.
Man sagt in Osterode auch, bei jeder Hinrichtung erscheinen einem Scharfrichter drei Köpfe und wenn er von diesen nicht den mittelsten ins Auge faßte, so träfe er nicht.
Quellen:
- Sagen des Ober-Harzes und der Gegend von Harzburg und Goslar bis zur Grafschaft Hohenstein und bis Nordhausen, gesammelt und mit Anmerkungen herausgegeben von Dr. Heinrich Pröhle., 1853, Brockhaus Leipzig;