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Die "Blaue Blume" von Fischwasser
Sagensammlung von M. Rothe, Überlieferungen von H. Grosse
Eines Tages, vor vielen hundert Jahren, es war im Spätsommer, erhielt der Sohn des Büdners Johannes, eine Nachricht vom Dobrilugker Abt. Johannes Erwin, wie er gerufen wurde, bekam große Angst, denn was der Abt von ihm wolle, konnte er sich nicht vorstellen. Mit zitternden Knien und bangem Herzen machte er sich auf den Weg von Fischwasser nach dem Kloster Dobrilugk. Der Abt war weithin als streng bekannt und demzufolge bei den Landbewohnern mehr gefürchtet als beliebt. Im Dobrilugker Kloster angekommen, mußte er eine ganze Weile warten, dann endlich hieß man ihn, zum Abte zu kommen. Das Gespräch verlief sehr freundlich und Johannes Erwin konnte lange nicht den Sinn des Gespräches erraten. Doch dann, ganz zum Schluß des Gespräches, sagte der Abt, warum er ihn zum Kloster kommen ließ. Der Abt beabsichtigte, eine kleine Schafherde, gerade eine Mandel stark, von eben diesem Johannes Erwin auf den saftigen Wiesen rund um Fischwasser hüten zu lassen. Bis zum Frost sollte diese Hutung dauern, dann wollte er ihn gut entlohnen.
Daß der Abt, der sehr schlau war, darin gleich wieder mehrere Vorteile für sich und sein Kloster sah, konnte Johannes Erwin nicht wissen, geschweige noch ahnen. So willigte er ein. Er bekam die kleine Schafherde und trieb sie munter nach Hause.
Tag für Tag hütete er nun die Schafe des Klosters. Natürlich ließen es die Bauern des Dorfes nicht zu, daß er auf ihren Wiesen die Schafe grasen ließ. So blieben ihm nur die Weg- und Grabenränder, Ödlandflächen, die Kirchenwiesen und die lichten Wälder des Klosterbesitzes, um für die Schafherde das nötige Futter zu garan-tieren.
So kam es, daß er eines Tages auch in die Nähe des großen Felsens von Fischwasser kam. In diesem lichten Wald, auf den kleinen aber saftigen und feuchten Grasstellen, konnten seine Schäfchen so richtig fressen. Die Sonne stand hoch am Himmel. Johannes Erwin setzte sich unter einer großen Kiefer in den Schatten und begann sich eine Pfeife zu schnitzen. Doch kaum hatte er sich gesetzt, so fielen ihm die Augen zu.
Er hatte nicht lange geschlafen, die Sonne stand noch genauso hoch am Himmel wie vordem, und doch spürte er, daß etwas anders war. Er schaute sich um und konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Die Schafe blökten. Da bekam er einen Schreck. Die Schafe, die Schafe! - dachte er. Und tatsächlich, ein Schaf fehlte. Er rief es, suchte überall, aber es blieb verschwunden. Traurig und ängstlich wurde er. Wo sollte er bloß so viel Geld hernehmen, wenn er es dem Abt ersetzen mußte.
So lief er unruhig hin und her. Die Gedanken eilten zum fehlenden Schaf, zum Abt und zum erwarteten Gelächter der Dorfbewohner. Da sah er plötzlich eine kleine, leuchtend blaue Blume dicht am Felsen stehen. Die Blume hatte eine wunderbare Form. Sie sah aus wie eine Kirchenglocke - nur zeigte die Öffnung nach oben. Der Stiel war ganz dünn und fein und sah aus wie ein Grashalm. Auch die Blätter waren sehr fein. Gedankenversunken starrte Johannes Erwin dieses kleine Naturwunder an, dann siegte seine Neugier. Er wollte die kleine Blume pflücken. Doch in dem Moment, wo er sie berührte und zur Seite biegen wollte, donnerte es plötzlich, und in dem Felsen erschien ein Spalt, der sich so rasch öffnete, wie er die blaue Blume zur Seite drückte.
Vor Erstaunen ließ er die blaue Blume los und ging auf die Öffnung zu. Dahinter gewahrte er eine Höhle, aus der helles Licht erstrahlte. Schon von weitem sah er das fehlende Schaf in der Höhle. Er ging hinein und fing das Schaf ein. Dann sah er an der Wand große irdene Krüge und Schüsseln mit goldenen und silbernen Stücken. Erst zögerte er, dann rief er, ob irgend jemand in der Höhle sei. Als 1hm niemand antwortete, griff er in die Gold- und Silberstücke und steckte sich die Taschen voll.
Es war alles sehr schnell gegangen, dachte er. Es schien ihm. es waren sogar nur Augenblicke. Als er zur Höhle wieder herauskam, waren die anderen Schafe alle weg. Die Blume war auch nicht mehr zu sehen. So ging er dann mit nur einem Schaf nach Hause. Die Leute im Dorfe schauten ihn sehr merkwürdig an. Sein Elternhaus war zwar noch da, aber die Eltern sahen so alt krank aus. Sie erkannten ihren Sohn sogleich, aber erschraken sehr. Es stellte sich heraus, daß der Sohn sieben lange Jahre fort war. Der Abt hatte die Schafe zurückholen lassen, und die Eltern von Johannes Erwin mußten das fehlende Schaf bezahlen. So mußten sie doppelt hart arbeiten. Dazu kam die Sorge um ihren fehlenden Sohn. Das ging nicht spurlos an ihnen vorüber. Doch jetzt, als der Sohn wieder da war, zog Freude im Hause ein. Noch mehr staunten und freuten sich die Eltern, als Johannes Erwin seine Geschichte erzählte und die Gold- und Silberstücke auf dem Tisch ausbreitete. Das Geld reichte auf lange Zeit für das Essen, zur Ausbesserung des Hauses, zum Kauf von Land und etwas Vieh.
Neugierig, woher auf einmal das viele Geld stammt und wo der Sohn so lange war, fragten die Leute im Dorfe. Doch irgendwann einmal war das Geheimnis bekanntgeworden. Alle suchten nun nach der wunderbaren blauen Blume, doch sie blieb für immer verschwunden. Viel, viel später machten sich dann einige Bauern auf und gingen dem Berg mit Hammer, Meißel und Hacken zu Leibe. Da sich die Höhle nicht mehr zeigte, trugen sie ihn schließlich ganz ab. Heute erinnern nur noch ein Tümpel, einige einzelne kleine Felsbrocken und die unzähligen Splitter von dem einstigen Berg bei Fischwasser.
Quelle: Sagen aus dem Heimatkreis Finsterwalde 2022. Nr. 19