Albertus Magnus und der Dombau

  L[eonard] E[nnen]: Albertus Magnus. Ein Lebensbild aus dem Mittelalter, Katholischer Volkskalender

»Wenn wir der Volkssage glauben, so verdankt dieser gewaltige Plan 1) seinen Ursprung weniger dem tiefen Nachsinnen unseres Albertus als vielmehr einer unmittelbaren Anweisung der allerseligsten Jungfrau. Albertus saß eines Abends, mit dem projektierten Bau beschäftiget, in tiefstem Nachdenken auf seiner Zelle. Inbrünstig betete er um Erleuchtung zur Vollendung des Werkes, das er zu Gottes Ehre schaffen sollte. Wie Wetterleuchten zuckte es plötzlich vor seinen Augen. Erschreckt schaute er auf und sah sich von einem milden Lichtglanz umflossen, der ihn alle Gegenstände genau erkennen ließ.

Da schritten vier Männer in weißen Talaren in seine Zelle; auf ihren Häuptern strahlten goldene Kronen, wie Edelgestein schimmernd im Lichtglanze. Der erste ein ernster Greis, trug einen reichen, weißen, über die Brust wallenden Bart und in der Rechten zeigte er den Zirkel; der zweite, etwas jünger dem Aussehen nach, führte das Winkelmaß, der dritte, ein rüstiger Mann, dessen Kinn ein dunkler, krauser Bart umschattete, führte den Maßstab, und der vierte ein blühender Jüngling, dessen Haupt reiche, blonde Locken zierten, trug die Waage.

Also bekundeten die Zeichen, daß sie Meister waren der freien heiligen Baukunst. Ernst, feierlich schritten sie daher; ihnen folgte in Himmelschöne die heilige Jungfrau, in ihrer Rechten einen mit hellschimmernden Blüthen geschmückten Lilienstengel tragend. Die vier Meister begannen nun nach Anweisung der heiligen Jungfrau mit der größten Emsigkeit den Plan zu einem majestätischen Kirchenbau zu entwerfen. In hellstrahlenden Linien bildete der Aufriß sich zu einem erhabenen Ganzen fort, wie Albertus nie ein Bauwerk geahnt hatte. Nicht lange dauerte der Zauber; eben schien der ganze Riß in hellem Sternenscheine sich zu einem prachtvollen Ganzen gestaltet zu haben, so entschwand plötzlich die ganze liebliche Erscheinung seinen entzückten Augen. Doch das Bild des ganzen Wunderbaues, wie ihn die vier gekrönten Meister nach der Angabe der heiligen Jungfrau entworfen hatten, blieb seiner Seele gegenwärtig. Jetzt konnte er einen Plan liefern, der in Allem die hochgehenden Wünsche des Erzbischofs vollkommen befriedigen mußte.«

Quelle: www.koelner-dom.de abgerufen am 09.02.2024


1)
der sog. Planriss F