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Das Abenteuer des Fähndrichs Sinclaire auf dem Beitzscher Berge
Haupt, Sagenb. d. Lausitz, N. L. Magaz., 1863, Bd. 40, S. 164.
„Es war im Jahre 1706. Karl XII. von Schweden hielt seinen siegreichen Durchzug durch Sachsen, und seine Soldaten überschwemmten das ganze Land. Durch die Niederlausitz marschierte das Regiment Kronemann, und eine Abteilung rückte eines Tages in die Herrschaft Pförten ein, um einen Rasttag zu halten. Bei dieser Abteilung befand sich auch ein junger Fähndrich aus einer alten irischen Familie, dessen Väter schon seit Jahrhunderten den schwedischen Fahnen gefolgt waren. Sein Name war Malcolm Sinclaire. Als derselbe nun am Rasttage müßig die Gegend durchstreifte, da kam er auch an den Beitzscher Berg, der ihm seiner schönen Aussicht wegen wohl gefiel, so daß er bald beschloß, die kommende Nacht - es war herrliches Septemberwetter – auf dem Berge zuzubringen.
Gesagt,gethan. Er läßt sich einige Lebensmittel, seinen Mantel, Degen und Pistolen bringen und besteigt in der zehnten Stunde den Berg. Der Mond warf sein magisches Licht auf die umliegenden Fluren, und der Fähndrich, auf dem Rücken des Berges hin und her wandelnd, ergötzte sich an dem einfachen Schauspiele und seinem selbst gewählten, einsamen Wachtposten. Es mochten Heimatserinnerungen durch seine jugendliche Seele ziehen. Denn Nordlandskrieger haben einen schwärmerischen Zug und lieben die Poesie des Mondes, und die Soldat gewesen sind, die wissen, wie ein einsam verlebter Rasttag im fremden Lande manchmal lange schlummernde Gefühle plötzlich aufweckt und unauslöschlich im Gedächtnis steht.
Plötzlich – im fernen Dorfe hatte die Uhr elf geschlagen weckte ein seltsames Geräusch auf der einen Seite des Berges unsern Fähndrich aus seinen Träumen. Er horcht - auf das Geräusch bleibt dasselbe. Schnell gefaßt, versichert er sich seiner Waffen und nähert sich, von Gebüsch zu Gebüsch schleichend, vorsichtig dem Abhange des Berges. Was findet er? Eine große Höhle, die er am Tage nicht gesehen, thut sich vor ihm auf, in deren Hintergrunde eine lange Reihe von Kriegern in dem Kostüm des dreißigjährigen Krieges, um eine mit Speis' und Trank wohlbesetzte Tafel gelagert, große Becher von Hand zu Sand gehen lassen. Unerschrocken tritt der Jüngling näher - er erkennt das kostbarste Silber- und Goldgeschirr, er erkennt die gelbe Feldbinde, die schwedische Montur; ja, es sind Landsleute, in Deutschland gefallene Schweden des vorigen Jahrhunderts.
Schweigend verharrt der zugleich erfreute und betroffene Fähndrich in ruhiger Stellung. Da erhebt sich eine hohe, ehrwürdige Gestalt aus der Reihe der Zecher, tritt vor ihn hin, läßt sein Auge lange mit festem Blicke auf den Zügen des unerschrockenen Jünglings ruhen, erhebt einen großen, mit Wein gefüllten Pokal und reicht ihn dem Fähndrich zum Trunke. Er nimmt den Becher, jetzt an, aber ihn schaudert vor dem Weine, den abgeschiedene Geister trinken, und langsam läßt er den Inhalt des Bechers über seine Achsel laufen.
Da ist mit einem Male Zecher und Zechtisch, Höhle und alles verschwunden, und der Fähndrich steht betäubt vor Schreck auf der Stelle, wo er anfangs das Geräusch vernommen. Nur der Becher in seiner Hand sagt ihm, daß er das Alles wirklich erlebte.
Als er den andern Morgen in seinem Quartiere erwachte, bemerkte Sinclaire, daß der vergossene Wein dort, wo er die Wolle der Montur getroffen, diese zerfressen hatte, und pries sich glücklich, den Trunk nicht gethan zu haben. Aber als er den Becher, der von reinem Silber und stark vergoldet war, näher untersucht, da findet er, daß derselbe das Sinclairesche Wappen trägt, und liest mit Schrecken auf einem am Fuße des Bechers befindlichen Pergamentzettel die Worte: „Vaeh tibi cruenta morte misere peribus 1739.“ - „Wehe dir, du wirst im Jahre 1739 elendiglich eines blutigen Todes sterben.“ Jetzt erkannte Sinclaire, daß der Geist eines Ahnen aus des großen Gustav Heere ihn, seinen Enkel, vor seinem traurigen Tode hatte warnen wollen.
Der Krieg war längst beendigt, Karl XII. hatte seinen Tod vor Friedrichshall gefunden, und der nun mehr zum Major beförderte Malcolm Sinclaire lebte friedlich am Hofe zu Stockholm. Das Jahr 1739 fam heran. Da erhielt eines Tages Sinclaire von der schwedischen Regierung den Auftrag, einen Subsidientraktat mit der Pforte abzuschließen und die Schuldscheine des verstorbenen Königs in Empfang zu nehmen. Auf der Rückreise von Konstantinopel mußte er wiederum die Niederlausitz passieren, wo ihm einst jene unheimliche Prophezeihung geworden war. Da ward er am 17. Juni 1739 zwischen Naumburg und Christianstadt gräßlich ermordet1) gefunden.
Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894