Volkssagen und volksthümliche Denkmale aus der Lausitz | nächste Seite >>>

Vorwort

So manche Feldblume, weder von anziehender Gestalt, noch würzig anlockendem Geruch, entblüht dem grasigen Raine und entblättert ungesehen, indem der Blumenfreund nur diejenigen, die entweder durch Farbe, Geruch, oder durch das Fremdartige ihren Empfehlungsbrief vorzeigen, in seinen Garten verpflanzt, oder in Blumenscherben pflegt, indeß der fleißige, aufmerksame Gewächskundige sie zur Vervollständigung des Ganzen sorgsam sammelt, trocknet und seinem lebenden Kräuterbuche einverleibt, oder einmal ein heiterer, sorgloser Knabe, dem Lilien, Rosen und andere angenehm duftende, oder durch Gestalt entzückende Blumen mangeln, diesen unbeachteten Kindern Flora’s seine Aufmerksamkeit schenkt, und sie zu einem Kranz windet, um die ernste Stirn des geliebten Vaters damit zum Geburtstage zu schmücken. Nicht weniger lieb wird daher dem Erzeuger diese kleine Mühwaltung erscheinen, als wenn des guten Sohnes Rechte ihm ein murrhinisches Gefäß mit Enna’s duftenden Schatz weihte, indem er dabei gewiß denkt: Daß gesalzenes Mehl diejenigen, denen Weihrauch mangelt, opfern.

Eben so würdig einer Aufnahme schienen auch mir gegenwärtige Volkssagen und Denkmale zu seyn, wo von Erstern schon manche verklungen und über Letztere man keine Auskunft zu geben vermag – mögen sie auch immer gelehrte und gescheute Leute für abgeschmackt halten; so betrachtet sie doch ein Anderer, der in ihnen so manche geschichtliche Wahrheit erblickt, aus einem günstigern Gesichtspunkte, ja – wäre auch selbst dieses nicht der Fall – so gewähren sie wenigstens einen Hinblick auf den Charakter und die Begriffe unserer Vorfahren und beleuchten so manches Dunkle aus der Vorwelt.

Hielt es der liebenswürdige Musäus, die wackern Gebrüder Grimm, der geniale Bechstein, der lebhafte Widar Ziehnert, selbst der ernste Büsching u. a. m. nicht unter ihrer Würde in dem Sagen- und Mährchenschatz herumzukramen, so dächte ich, brauchte sich auch ein Anderer nicht zu schämen und nicht seiner Landsleute Stirnrunzeln befürchten, wenn er sie mit dem, was ihre Altvordern in der Provinz, – die noch keine Sagensammlung besitzt, – bekannt zu machen beabsichtigt.

Wenn aber auch selbst dieses nicht beachtet werden sollte, so versetzen uns doch wenigstens dergleichen Erzählungen in die schuldlosen Jahre der Kindheit, führen uns auf die Plätze, wo wir in der blühenden Natur, auf Triften und in Hainen bei des Frühlingsbeginn, bei der Ruhe an schwülen Sommertagen im wohlthätigen Schatten, bei’m Obstlesen im fruchtreichen Herbst, oder bei schneestürmenden Nächten in trüben Wintertagen, in der rusigen Bauernstube am flackernden Kamin, aufmerksam diesen Mähren horchten und sich feuerhauchende Drachen, scheußliche Lindwürmer, wie andre befiederte, beschuppte, wolletragende, oder beborstete Ungeheuer, Riesen, Zwerge, Feen und Zauberer, Erscheinungen, Geister und Gespenster, unserer Phantasie zeigten und sich lebhaft vor unsere Augen stellten.

Anlangend aber die Denkmale, welche an irgend ein alterthümliches Ereigniß erinnern, so rütteln sie nicht selten den Forschergeist aus dem Schlafe, geben uns Gelegenheit genauer nachzuforschen und leiten vielleicht auf einen nicht unbedeutenden geschichtlichen Gegenstand. – Denn führte nicht das zufällige Herabfallen einer Eichel auf den Kopf jenes großen Mathematikers, der unter der Eiche saß, ihn auf die Entwickelung der Körperstrebung zum Mittelpunkte? –

Welchen reichlichen Sagenschatz würden wir nicht besitzen, wenn unsere Vorfahren – wie alle Naturkinder dem treuen Gedächtnisse trauend – dieses weniger gethan, und ihre Nachkommen im vierzehenten und fünfzehenten Jahrhundert – wo Schreibekunst Fortschritte gemacht und Buchdruckerei erfunden worden, selbige zu sammeln, die Mühe lohnend gehalten hätten? Wie würde dadurch das Studium der vaterländischen Geschichte seyn erleichtert, so Manches aus dem Dunkel zu Tage gefördert, so mancher Zweifel gelöset worden seyn und welche richtige und untrügliche Ansicht von Denkart, Sitten und volksthümlichen Gebräuchen unserer Vorfahren, wäre uns nicht geworden? In jener gedachten Epoche nun war es die schicklichste Zeit, diese Volkssagen zu sammeln, weil an Verfälschung und Ausschmückung derselben, bei der damaligen einfachen, schlichten Ausbildung, nicht zu denken war, wohl aber das reine, kräftige Volksthümliche unverändert in seiner wahren Gestalt uns erhalten worden seyn würde; ja! nicht blos dieses, sondern auch unsre Dichtkunst würde dadurch kein nutzloses, unkörniges Geschenk erhalten haben, indem ja der epische Grund volksthümlicher Dichtung dem durch die ganze Natur in mannigfachen Abstufungen sich verbreitenden Grün, welches sättigt und sänftigt, ohne jedoch zu ermüden, gleicht.

Die Oberlausitz hat wegen ihrer Lage schon dasjenige mit gebirgigen Ländern gemein, daß sie – wie z. B. Schottland und andere Hochländer – so wie ihre Kleidung, alte Sitten und Ueberlieferungen, länger und besser, als die Niederungen aufbewahrt. Die Abwechselungen, welche diese Provinz unter ihren Herrschern erfuhr, – ich will keinesweges der im Dunkel und Ungewißheit mit Fabeln durchwebten Geschichte der alten, grauen Vorzeit gedenken, sondern blos auf die Sorbenwenden, jenes Urvolk, aufmerksam machen, deren Einfällen der Thüringer Radulf i. J. 633 Grenzen setzte – indem sie bekanntlich bald unter meißner, polnische, böhmische, brandenburger, österreichische und endlich sächsische Hoheit kam, welcher Wechsel schon hinlänglich für die Menge und Mannigfaltigkeit der dasigen Sagen bürgt, indem von jedem Volke etwas von dessen Sitten und Gebräuchen, Denk- und Handlungsweise, Religion und Aberglauben übrig geblieben ist; denn so wie dem vom mütterlichen in einen andern Boden verpflanzten Gewächse immer noch heimische Erde an der Wurzel hangt, so wird auch die hier und dort vorkommende Aehnlichkeit lausitzer Volkssagen und Mährchen mit den aus gedachten Ländern, sich erklären lassen.

Die Art und Weise, wie ich gesammelt habe, ist die, daß ich blos – so wie ich die Erzählung empfangen, – wiedergegeben habe und nichts, als die Styleinkleidung – mit Ausnahme dessen, was ich dem bereits Gedruckten entnommen – in der Maße, wie ich es rein und wahr erhalten zu haben glaube, auftische. Sehr leicht hätt’ ich mir ja den Anstrich eines recht mühsamen Forschers geben können, wenn ich z. B. bei der Sage vom Kochjungen die Zeit der polnischen Herrschaft angenommen, bei’m Mordkeller, so wie bei’m Krystallsarge ein verloschenes adeliches Geschlecht – damit ich keine Ehrensache zu befürchten gehabt – namhaft gemacht und den Wundervogel für einen brandenburgischen Prinzen etc. ausgegeben hätte etc. Allein, dieß war nicht mein Wille; indem ich durch Abfeilung oder Hinzusetzung – gleichviel, ob wahr oder falsch – das Volksthümliche gestört und Lüge für Wahrheit gegeben haben würde. Also, um noch einmal es zu sagen: „Ich habe erzählt, wie ich es vernommen, ohne durch Verbesserungen Anachronismen zu heben, oder durch Erdichtungen zu unterhalten und das Werk dickleibiger zu machen.“

Hier – da ich keine authentische Geschichte, kein Werk, von dessen strenger Wahrheit Krieg oder Friede eines Staats, Glück oder Unglück eines Individuums abhangt, schrieb – bedurfte es wohl nicht Nachweisungen auf alte Schriftsteller, nicht kühne gewagte Vermuthungen, und nicht anmaßendes Absprechen über diesen oder jenen Vorwurf. Ich schmeichle mir, daß nicht anders, als wie ich hierbei verfahren, verfahren werden mußte und daß es ganz hier am unrechten Orte gewesen wäre, wenn ich – selbst, wenn ich gekonnt – hier den Hochgelahrten hätte spielen wollen.

Ich glaube daher, daß, da ich – so viel mir bekannt – der Erste bin, welcher eine so viel als möglich vollständige Sammlung von denen in Lusatiens Gauen herrschenden, noch übrig gebliebenen Volkssagen und Denkmalen an’s Licht treten lasse; (und indem ich hiermit nochmals jeden vaterländischen Alterthumsfreund um gütige Mittheilung der in seinem Bereiche im Schwunge gehenden Volkssagen – und vorhandenen Denkmale ergebenst ersuche) ich wohl dieses Werk nachsichtsvollen Augen und liebevollen Händen zu übergeben, zutrauungsvoll hoffen darf.

Derjenigen Tafel aber, welche – wie bei manchem Feinschmecker – nur mit leckern und kostspieligen Speisen besetzt wird, dieser kann allerdings rein, gesunde Hausmannskost nur Ueberdruß gewähren, daher ich nicht wünsche, damit nicht zu belästigen.

Kamenz, im Jänner 1839.

Quelle: Heinrich Gottlob Gräve: Volkssagen und volksthümliche Denkmale der Lausitz. Reichel, Bautzen 1839, Seite 3; Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource (Version vom 1.8.2018)