<<< | Sagen aus Thüringens Vorzeit, den drei Gleichen, dem Schneekopf und dem thüringischen Henneberg | >>>
Drei Schwestern sitzen auf Bergen;
Sie schauten mit fürstlicher Pracht
Nach Often, Süden und Westen:
Doch geisterhaft blicken die Vesten
Nun in die schaurige Nacht.
P. H. Welker
Die ganze Fülle der mittelalterlichen Romantik tritt uns nah, wenn wir mit dem Zauberwort Gleichen an das Grab der - thüringischen Vorzeit klopfen. Es ist nur eine einfache, allbekannte Sage, schon hundertmal schriftlich, und viele tausendmal mündlich erzählt, geglaubt, bezweifelt, bestritten, durchforscht und durchgrübelt, wie keine zweite, welche immer dieselbe geblieben bei allen Verwandlungen, die Phantasie und Laune, Forschung und Wißbegier mit ihr vornahmen, und welche ein Kleinod aller thüringischen Sagen bleiben wird. Das Ereigniß einer durch die abenteuerlichsten Conflickte herbeigeführten Doppel-Ehe stand den schlichten, sittenreinen Vorfahren so einzig und beispiellos da, daß bald genug um den einfachen Kern einer halb zweifelhaften Thatsache die Krystallstrahlen der Poesie anschossen und den schönen Sagenstern bildeten, aus dem uns deutsches Heldenthum, deutsche Biederkeit und Treue, glühende, aufopfernde Liebe und zarte fromme Weiblichkeit entgegenleuchten. Dazu thronen noch die Trümmern der drei Schwesterburgen mitten im Schoos einer so herrlichen, mit Fruchtbarkeit und Wohlstand gesegneten Gegend, die man eine zweite güldne Ane vom Gold ihrer Saatfelder nennen könnte; sie thronen? nein, sie ruhen, wie trauernde greise Königsbilder, und grüßen nach der fernen Wartburg und der nähern Kiefernburg hinüber, die an ihre Zeit erinnern, während das jugendliche Leben der Neuzeit fröhlich aufgrünt und nur noch mit Neugier und Aussichtlust über die staubigen Schwellen schreitet, darüber man die letzten Ritter zu Grabe getragen. Schöne Aussichten wünscht sich die Jugend immer, in die Natur, wie in das Leben selbst, und eine der schönsten Aussichten bietet sich von jedem der Gleichischen Schlösser in ein Land, das im Segen des Friedens ruht, das nicht mehr wie einst der raubende und fehdelustige Ritter in Furcht und Schrecken seßt, in welchem nicht mehr Bürgerrache die Dörfer anzündet und die Saaten niedertritt, die im Gebiet des Feindes und als seine Lebensstücke gelegen waren.
Uebrigens hallte der Grafenname Gleichen mannlich und stark durch das Thüringer Land; die gleichischen Besitzungen waren ausgedehnt, ihre Lehen zahlreich; vor uralter Zeit waren diese Ritter Erb- und Schirmvögte der Stadt Erfurt, in der sie viele Häuser und die Gerichtsbarkeit über einen ganzen Distrikt von mehren Straßen hatten, ja sie besaßen eine eigne Kirche darin, ein eignes Thor, Mühlen, Gärten und ein Erbbegräbniß auf dem Petersberge. Bei jedem Heereszug, bei jeder Meerfahrt in das gelobte Land, und überall, wo ritterlicher Ruhm zu ärnten war, gesellte sich dem thüringischen Landgrafenlöwen der gleichische Leopart. Mancher Graf von Gleichen blutete und starb für sein Vaterland.
Daß die Burgen Wachsenburg und Mühlberg älter sind, als Gleichen, das sogenannte Wandersleber Schloß, ist bekannt und unbestritten, allein die anscheinend gleiche Höhe der Nachbarberge, und deren ziemlich gleiche Entfernung von einander in einem Dreieck rechtfertigen vollkommen den volksthümlichen Sprachgebrauch in ihrer Benennung: Die drei Gleichen. Ihr Sagenkreis schlingt sich in den von Ohrdruf ein und grenzt sich gegen die Stadtgebiete von Gotha und Erfurt ab, während er Arnstadt mit seinen Ortschaften mit einschließt und der muntern Gera eine Strecke aufwärts folgt, um sich eines Theils dem Sagenkreis des thüringischen Henneberg anzunähern und sich gegen den des Ilmthales abzumarken.
Quellen: