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Die Poesie eines Volkes ist der treuefte Spiegel seines Geistes, Gemüthes, Genius und Charakters, sie ist die Flamme des heiligen Feuers der Bildung, Sittigung und Religion, welche von dem Altare der Menschheit zum Himmel auflodert.
v. Hammer - Purgstall, in der Vorrede zur Geschichte der Osmanischen Dichtkunft
Jeder Freund der Poesie, der in ihr mehr, als eine oberflächliche Befriedigung geistiger Sinnenreize erblickt, und gern von den flachen Ufern ihrer oft breiten Ströme den heimlichen Quellen zueilt und zuflüchtet, die aus Felsgeklüft und Waldesnacht murmelnd hervorbrechen, wird zugeben, daß die Sage eine der ursprünglichsten und reinsten dieser Quellen sei. Aus dem Dunkel wie aus dem Morgenroth der Völkergeschichte klingt ihr früher Memnonton, ihr heiliges Rauschen. Wer die Sage nicht achten wollte, würde verdienen, ein Verächter der Poesie zu heißen, und wer es, mit dem Eis der Selbstsucht umpanzert, unternimmt, ein Streben, das mit dem Wunderstab der Liebe und zugleich mit der Wünschelruthe wissenschaftlicher Forschung diese Gebiete durchwandert, zu verhöhnen und als nicht zeitgemäß hinzustellen, erscheint selbst allzuverächtlich, als daß es ehrenvoll wäre, ihm bekämpfend zu begegnen. Mag die Welt doch immerhin in ihren praktischen Richtungen erfreulich weiter schreiten, mögen Technologie und Industrie sich für die Riesenschritte ihrer Fortbildung aller fördernden Flügel großartiger Erfindungen bedienen: die Poesie wird sicher nicht versuchen, mit ihrer schwachen Hand hemmend in die Räder des Entwickelungsganges der Zeit eingreifen zu wollen, und muß Beschuldigungen solcher Art äfs absurde von sich weisen. Es wird faunt einer. Hindeutung, auf das klassische Alterthum bedürfen , um daran zu erinnern, daß zur Zeit der damals möglichen höchsten Kulturblüthe keineswegs die Poesie verdrängt oder verachtet, vielmehr geehrt und geistig gehoben war, oder daß sie die Entwicklung des Völkerlebens hätte aufhalten wollen, vielmehr ging und hielt sie damals, geht und hält sie auch heute noch, mit der Kultur und Sittenverfeinerung gleichen Schritt. Bei Hellenen und Römern entblühte eine erstaunliche Sagenfülle dem Baume des Mythos. Von den, zum Theil dem Osten entklungenen Götters, Dämonen- und Heroensagen dieser Nationen drangen und klangen viele zu den entferntesten Völkern und manche dieser Sagen findet noch heute in einzelnen Traditionen, die im Munde des deutschen Volkes leben, ein leises, dunkel erinnerndes Echo.
Daher aber, weil die Sage ein unsterbliches Leben im Volke selbst fortlebt, und den ewigen Poesiefrühling als eine seiner melodischsten Nachtigallen verschönen hilft, findet sie auch zu allen Zeiten willige und erfreute Hörer und Freunde, von denen wohl Mancher sehr ernst bethätigte, daß er, seiner Neigung für die Klänge der Sagenharfe unbeschadet, regen Antheil an den Interessen der Gegenwart nimmt, und retrograde Bewegungen und stabile Principien haßt und verabscheut.
Daß die Sagenpoesie einer Vertheidigung gegen Keblose und gehässige Gesinnung, wie solche sich wohl in einzelnen Stimmen ausspricht und aussprechen könnte, nicht bedarf, geht gerade in unsern Tagen aus einer Menge höchst erfreulicher gleichzeitiger Bestrebungen im deutschen Vaterlande hervor, welche von einer Seite theils vom rein wissenschaftlichen und strengen Standpunkt aus, Licht und Helle in das Dunkel früher Ueberlieferungen zu tragen, theils die noch vorhandenen , allmählich aber immer mehr verschwindenden und in Unzugänglichkeit sich schüchtern bergenden ächten Sagenblüthen aus dem Volksmunde zu sammeln bemüht sind, von der andern Seite hingegen mit großer Liebe willkommen geheißen und freudig aufgenommen und anerkannt werden.
Eben so wenig als einer Vertheidigung der Sage, bedarf es eines Panegyrikus derselben. Sie ist einem sinnigen und bescheidnen Mädchen gleich das sich nicht auffallend bemerkbar macht, das sich nicht aufdringt, sondern in verschämter Zurückgezogenheit blüht, und des erkornen Freundes harrt, dem es mit zärtlichem, unschuldvollem Geflüster und süßen Küssen seine Treue lohnt, und ihn ewig an sich fesselt. Die Sage und die ihr verschwisterte, nach dieser Richtung hin sich nothwendig objectiv gestaltende Poesie bietet in ihrer großen Mannichfaltigkeit, ihrer tausendfachen Gestaltung und ihrer oft wunderbaren und überraschenden Erscheinung eben so wohl ein unübersehbares Feld für die Forschung, als auch eine reiche Fülle von ästhetischem Genuß für Geist und Gemüth Denen dar, die beides für sie mitzubringen haben, Wenn es nun unbestritten bleiben muß, daß die Volkssage neben andern erfreuenden Erscheinungen im Gebiete der Aesthetik eine Quelle des Schönen ist, die dem natürlichen und unverdorbenen Sinn anspricht, den Geschmack befriedigt, ein reines Wohlgefallen zu erregen im Stande ist, und daher ein allgemeines und übereinstimmendes Kriterium zuläßt, so dürfte außer dem, daß sie nach den verschiedenen Modificationen ihres ein zelnen Auftretens und Vorkommens im Stande ist zu erfreuen, zu belustigen, zu erheben und zu rühren , noch viel mehr aufgefunden werden, das zu ihren Gunsten redet, sie auf einem höhern Standpunkt, als den bisher eingeräumten stellt, und die tiefern und innigern Beschäftigungen mit ihrem Wesen nicht nur rechtfertigt, wenn sie der Rechtfertigung überhaupt bedürften, sondern auch empfiehlt und als würdig, achtungs- und nachahmungswerth hinstellt. Meine eignen Forschungen in dem Gebiet der deutschen Volkssage, die ich eifrig fortseße, haben mich schon jetzt zu der Ueberzeugung gelangen lassen, daß den meisten derselben ein ethischer Werth innewohnt, daß sie, wie sie unbewußt aus dem Volke hervorgehen und ausblühen, auch eben so unbewußt diesem zur gedeihlichen Frucht werden, und daß in ihnen eine Sittenlehre für das Volk enthalten ist, welche nicht minder wirksam und einflußreich sein möchte, als auf die Völker des Orients das Mährchen und die Parabel. Darüber die Beweise zu führen, ist der eigentliche Zweck dieser Abhandlung.
Bevor ich aber, zum Einzelnen mich wendend, zeige, wie die Sage das Volk nicht nur erfreut, erheitert, erhebt und rührt, sondern ihm auch eine Lehrerin, eine Warnerin, eine Trösterin ist durch die Macht des Beispiels, und forterbend mit seiner traditionellen Spruch- und Gleichnißweisheit Hand in Hand geht, muß ich mich erst noch einmal zum Allgemeinen wenden, um ein richtiges Verständniß zu bewirken. Vor Allem dürfte für Manche eine Feststellung des Begriffes: Sage, und eine Gliederung desselben erforderlich sein, um den Ausdruck Volkssage entschieden zu bestimmen und zu begrenzen. Sage ist die unverbürgte Kunde von etwas Geschehenem, auch von etwas in dauernder Erscheinung Währendem, auch bisweilen von Etwas, das noch kommen soll. Dadurch, daß sie eine unverbürgte Kunde. des Geschehenen ist, unterscheidet sich die Sage von der Geschichte, wenn auch bisweilen, ja oft, die Sage Geschichte erzählt, und die Geschichte Sagen in ihr Gebiet zieht. Sehr treffend drücken sich hierüber die Brüder Grimm aus: (Deutsche Sagen Th, 1. XV. ) „Der Unterschied zwischen Geschichte, Sage und Märchen gehört nun offenbar zu den erlaubten und nicht zu versäumenden; dennoch giebt es Punkte, wo nicht zu bestimmen ist, welches von dreien vorliege, wie z. B. Frau Holla in den Sagen und Märchen auftritt, oder sich ein sagenhafter Umstand auch einmal geschichtlich zugetragen haben kann.“ Dadurch, daß sie unverbürgte haltlose Ereignisse der Vergangenheit als noch dauernd verkündet, wird sie theils zum Mährchen und zur Fabel. Dadurch, daß sie unverbürgte Ereignisse als noch kommend voraussagt, wird sie Prophezeihung. Daraus erhellt die Größe und der Umfang des Gebietes der Sage.
Um nun eine Abmarkung dieses großen Gebietes zu bewerkstelligen, muß nothwendig vorbemerkt werden, daß schroffe Sonderung unmöglich ist, und nicht festgehalten werden kann, weil immer ein Gebiet das andre an vielen Theilen zugleich berührt, weil zwischen allen eine zarte und innige Verwandtschaft statt findet, und weil es oft ganz unmöglich ist, einem Sagenindividuum, als geistigem Wesen Rang und Stellung in dem mechanischen Nothbehelf eines dürftigen Systems anzuweisen. Demnach läßt sich die Sage in vier große Hauptglieder sondern :
I. Göttersage
II. Heldensage
III. Geschichtssage
IV. Volkssage
So wie der Grundbegriff des Wortes Sage auch anders defiNixt werden kann, als ich denselben hier feststelle, eben so wird es keinem mit dem Wesen der Sage Vertrauten schwer fallen, an dieser Gliederung auszusehen, oder auch jede Abtheilung derselben noch weiter in einzelne Theile zu zerfällen. Es kann jedoch bei dieser Abhandlung nicht mein Zweck sein, das innerste Wesen jeder dieser Hauptabtheilungen zu verdeutlichen; die gelehrte Welt hat namentlich über Götter- und Heldensage von berühmten Männern scharfsinnige und tiefe Forschungen in Händen; ich habe hier nur Folgendes im Allgemeinen anzudeuten:
Göttersage im höhern Sinne haben wir im mittlern Deutschland (von dem ich hier ausschließlich rede), so gut als gar keine, und wo ein Nachklang derselben geblieben, der mehr als hypothetischen Grund und Beweis für sich hätte, so ist er innig mit der Volkssage verschmolzen. Von den Göttern der Vorzeit, wie die Erinnerung an sie bei den Völkern des Südens und des Nordens in mündlicher und Schrifttradition sich wohl noch finden mag, weiß unser Volk nichts mehr, Götter und Dämonen sind ihm zu gespenstischen Erscheinungen geworden. So mögen Wuotan, Frau Holle und Bertha mit dem wüthenden Heer verschmolzen sein, so blieben Götternamen und Erinnerungen an sie nur an Einzelorten und vielleicht in mancher dunkeln Redensart, in mancher Formel haften, vor allen andern Odin, Wuotan and Thor, auch einige der römischen Götternamen, am meisten Mars. Von Götterbildern überliefern fast nur Bücher, eher noch erinnern Sitte und Brauch an alten Götterkult, aber ohne Bewußtsein, nur folgern läßt sich Vieles, nicht mit Evidenz nachweisen.
Weit mehr, als von Göttermythen, wurzelte im Glauben des deutschen Volkes theils aus nordischen, theils aus füdlichen, theils wohl auch aus eigenthümlichen Elementen gemischt das Dämonische fest. Dahin gehören die zahllosen Sagen, in denen der Teufel eine Rolle spielt, dahin gehört die Schaar der Elementargeister, der Kobolte, Berg - Wald - Höhlen-, Strom-, Fluß- und Quell-Geister unter ihren mannichfaltigen Gestaltungen, ja sie bilden ein so ächt nationelles Grundelement der deutschen Volkssage, daß ich diese Phantome mit ihrem zahllosen Anhang von Feuermännern , Irrwischen, fliegenden Drachen, dem Alp, ben Wichtlein, Schwanjungfrauen, wildem Heer, Waldweiblein, Nixen, Hausgeistern. sammt Riesen und Zwergen in das Gebiet verweise, das ich unter eigentlicher Volkssage begreife, denn ohne diesen mythischen Nimbus würde dieselbe ziemlich nackt und arm dastehen, Was außerdem an den Götterkult der vaterländischen Vorzeit erinnert: alte Opferpläte, Grabhügel und Tempelhaine, diese insgemein verrufenen Stätten, wo es in der Regel spuken und umgehen soll, und heidnischer Brauch bei Opfern und Gottesdienst, flüchtete in den Volksaberglauben hinein, der ein treuer Träger und Bewahrer alten Herkommens geworden und geblieben ist.
Die Heldensage, welche uns fast ausschließlich in Schrifttradition überkommen, kennt das Volk nur aus den Volksbüchern, deren bedeutendstes in dieser Beziehung als Niebelungennachhall der gehörnte Siegfried ist. Was hier der Forschung von isländischen und andern Nordlandssagen mit den Deutschen übereinstimmend oder verwandt erscheinen mag, kümmert das Volk nicht. Dieses weiß nichts vom Mannus und Luisko der deutschen, nichts vom Isk und Ask der scandinavischen Mythe. Vom deutschen Irmin klingt kaum noch eine Namensverwandtschaft vernehmbar durch das Volksleben. Was davon in Chroniken steht, ist ein wohl aufgehobener Schatz, den die Völker größtentheils vergessen haben. Die deutsche Heldensage, von Grimm so vortrefflich kritisch erforscht und erläutert, durch Mone's und Andrer wackre Bemühungen uns immer werther und anziehender gemacht, eristirt nur für den Literaten, im Volke lebt sie blos in der Palingenesie, indem sie aus Lied und Buch ihre verjüngten Blüthen aufhorchenden Hörerkreisen in den Schoos streut.
Wohl aber ist die Geschichtssage im Einzelnen dauernd lebendig; eine Menge ihrer besondern Stoffe im frischen Andenken zu erhalten, trug der Katholicismus durch die Legende sehr viel bei, und die im Volk so werth und hoch gehaltenen Chroniken geben ihm willig zur Unterhaltung in langen Winterabenden oder in einsamen Stunden das zurück, was aus dem Mund der Väter die Chronisten einst sammelten und niederschrieben. Da mischt sich denn Wahres und nur für wahr Gehaltenes mit einander; die Helden oder die Liebesthat, das Abenteuer oder das Wunder gattet sich mit der Romantik, und aus ihrer Umarmung geht die geflügelte Sage hervor, um auf ihren goldfarbigen Schwingen uns in ihr phantastisches Aelternhaus und Heimathland zu tragen. Zur Geschichtssage ist auch zu rechnen, was auf alten fliegenden Blättern, Minne - und Meistersängerliedern und dergl. dahin bezügliches wir überkommen haben, davon heute weder der Volks noch auch der Chronikenmund etwas kund thut, wie z. B. die Sage von dem Danhäuser, dem Brennberger (Grimm D. S. 2 . 499 u. 500.) Heinrich dem Löwen, dem edlen Möringer und viele dergleichen. Oft behandeln diese einen geschichtlichen Gegenstand mit mythischer oder romantischer Färbung.
Eigentliche Volkssage nun im wörtlichen Sinn ist die im Volk und vorzugsweise im Landvolk noch vom Ahn auf den Enkel forterbende und sich fortpflanzende Tradition eines nicht geschichtlich genau erweislichen Ereignisses, das entweder vor Zeiten geschehen, oder als Erscheinung noch in der Gegenwart bemerklich sein, oder dereinst noch wirkend in die Gegenwart treten soll; sehr oft vereinigen sich diese drei Grundelemente in einer Sage.
Als Beispiele führe ich hier an die Volkssage vom Jungfernsprung, die sich nicht selten wiederholt, namentlich auf dem Harz und in Thüringen. Der Grundzug ist: Ein gottloser Ritter verfolgte ein schuldloses Mägdlein, sie floh und gelangte auf einen senkrechten und hohen Fels, von dem sie nicht weiter konnte; der Verfolger kam immer näher, sie empfahl sich Gott, nnd wagte den entseglichen Sprung in die Liefe. Helfende Engel standen ihr bei, daß sie ohne Schaden hinabgelangte , während der Bösewicht durch gleichen Sprung den Tod fand. Diese Sage ist abgeschlossen und gehört der Vergangenheit an.
Zu den Sagen, deren Erscheinung dauernd in die Gegenwart tretend geglaubt wird, gehören die bekannten von den weißen Frauen auf noch bewohnten oder fast verödeten Schlössern, so wie die von erscheinenden Jungfrauen auf Burgbergen. Von ihrer Vergangenheit weiß man wenig, von ihrer Zukunft nur so viel, daß sie vielleicht erlöst werden können. Daß sie erscheinen, oft glückbringend erscheinen, ist Grundzug der vielfach variirten und darin doch übereinstimmenden Sagen von ihnen. Prophetisch tritt die Tradition auf, wenn sie Ereignisse, die noch kommen sollen, im voraus verkündet, sei es bedingt oder unbedingt. Bedingt z. B. in der Sage von Walserfeld: Auf dem Walserfeld nahe dem Untersberge bei Salzburg steht ein dürrer Birnbaum, der wird grünen und Frucht tragen, wenn die große und entsetzliche Schlacht um des Glaubens Willen dort geschlagen wird. In dieser Schlacht wird viel Volkes umkommen, und das Blut wird einem auf dem Felde bis an die Schenkel rinnen, und der Baierfürst wird seinen Wappenschild an den Baum hängen.
Um auch das Unbedingte der prophetischen Sage nicht ohne Beispiel zu lassen, führe ich an, daß in Thüringen eine Stelle gelegen ist, von der unter den Umwohnern die Rede geht, daß auf ihr der leste Türke werde erschlagen werden. Diese Stelle ist weit vom Kyffhäuser, und deutet doch unverkennbar auf das nächstfolgende Beispiel hin. Wie die Sage ihre Strahlen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich verbreitet, davon haben wir, neben manchem andern, ein recht schlagendes. Beispiel am Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser. Der alte Kaiser verfluchte sich einst mit seinem ganzen Hofhalt in den Schoos der uralten grauen Bergfeste; er sigt noch heute darin verzaubert, bedient von Zwergen und anderm Hofgesinde, sein weißer Bart ist durch den Marmortisch gewachsen, er fragt von Zeit zu Zeit, ob die Raben noch um den Berg fliegen? Und so lange sie noch fliegen, muß er noch im Halbschlummer der Verzauberung beharren. Aber es wird kommen die Zeit, wo er glorreich mit all seinen Wappnern aus dem Berge zieht, die große Türkenschlacht schlägt, und das heilige Land frei macht. Wenn dieses geschieht, wird auch am Kyffhäuser ein alter Birnbaum grünen und Früchte tragen.
So glaube ich im Wesentlichen den Begriff der Sage überhaupt, und der Volkssage insbesondere, wie derselbe meiner Individualität klar vor Augen steht, entwickelt zu haben, und will nun zu zeigen versuchen, wie die Volkssage ethisch wirkt, d. h. wie sie dem Volke selbst zur Freundin, Lehrerin, Trösterin wird, ja wie sie in der Volksstimme sich als Gottesstimme verkündigt. Die folgenden mit Beispielen belegten Säße gebe ich, wie sie sich eben aus der reichen Stofffülle hervor - und mir aufdrängten; systematische Anordnung hielt ich hier für überflüssig. Die Kindheit steht unter Engelschutz. Dieses schöne Prinzip des Volksglaubens, das man täglich im Volksleben aussprechen hören kann, findet in unzähligen Sagen seine Belege; ich verweise hier nur auf das Kind am Falkenstein, in meinem Thür. Sagenschaß. Bd. 2. S. 75. Die arme Mutter, Kräuter suchend, verließ ihr Kind, dem sie Blumen und Spielzeug gab, auf hohem abschüssigen Fels; das Kind rutschte spielend weiter, nach Kinderart, bis zu dem steilen Abhang; es stürzt herab, doch unbeschadet, Engel beschirmten es; mit besondern Blumen spielend, oder ruhigschlafend findet die entsetzte Mutter ihr Kind wieder. Ferner verweise ich auf die Sage von der verfluchten Jungfer bei Eisenach, die ein Kind schüßt. Th. S. S. I. S. 121. Wie Gottes Engel einen Knaben in der Nähe von Zwickau speiste, führen Luthers Tischreden an.
Die Unschuld steht unter Gottes Huth. Hierher gehören belegend die vorhin schon angezogenen Sagen vom Jungfernsprung, wo die verfolgte Unschuld sich rettet; (Harz, Arnstadt, Oybin u. a.), und viele ähnliche; nicht minder die, wo die Strafbaren umkommen, aber die Unschuldigen dem Verderben entzogen werden, wie in der Sage: Der heilige Sonntag (Grimm I. 232.) wo eine schuldige Frau mit ihren Kindern verbrennt, während ein Kind in der Wiege durch Gottes Gnade erhalten wird; eben so die Sage vom Kindelberg in Westphalen, (Grimm I. 234.) auf welchem frevelnde Ritter Gott versuchen, welche dann alle an der Pest sterben, bis auf ein schuldloses und frommes Geschwisterpaar. Wer sollte nicht auch an die Rosen der heiligen Elisabeth denken? Zeigen doch hierher auch fast alle Sagen von Ordalien!
Treue Pflichterfüllung findet ihren Lohn. Dies bewahrheiten viele Sagen, der Volksglaube bestätigt es. Wer auf Berufswegen geht, den können die Geister weder irren noch schaden, unzählige Bergmanns- und Jägersagen deuten darauf hín. Redliche arme Hirten thun reiche Funde; guten Menschen erscheinen und dienen willfährige und hülfreiche Geister, und bleiben treu, so lange nicht Vorwit und Uebermuth sie vertreibt. Der fröhliche Muth und das gute Gewissen, die aus redlicher Pflichterfüllung hervorgehn, und sich zum getrosten Vertrauen steigern, haben Glück und Segen. Dieß dokumentiren die zahllosen Sagen von Musikanten, welche zu Nacht den in Burg und Berg und Höhle verzauberten Königen und Prinzessinnen Ständchen bringen; grüne Zweige, die sich den Vertrauenden in Gold verwandeln, belohnen sie reichlich. Die Geister wollen Muth und Vertrauen von den Menschen, ohne diese hilft keine Springwurzel, keine Glücksblume, keine Zauberformel.. Nur der Muthige nimmt aus dem Kreise der zischenden Schlangen die güldne Krone vom Haupt der weißen Schlangenkönigin, nur er küßt dreimal die Drachengestalt der verwünschten Prinzessin, nur er findet und erringt die magischen Wundermittel, die zur Erlösung gebannter Seelen nöthig sind.
Armuth schändet nicht. Das gemeine Volk, überall mehr arm, als reich, bildet selbst in seiner Tradition eine ganz natürliche Opposition gegen den Reichthum und die Reichen. Die Sage läßt redliche Arme reich und glücklich werden, sei es durch aufgefundene. Schäße oder Geistergaben. Die Reichen prangen im Glanz ihrer Hoffarth, und hundertfach variirt die Sage ihre Strafe. Das Volk übt im Gefühl seiner Unterdrücktheit, an die zu glauben es stets geneigt ist, eine eigenthümliche Jurisdiction aus, dieß zeigen schon die vielen dahin zielenden Sprüchwörter, z. B. Armuth studirt, Reichthum jubilirt. Armer Leute Freund will niemand gern sein. Armer Leute Gäste gehen zeitig zu Hause. Armen hat nie kein Geld gebrochen, als nur am Sonntag und in der Wochen.
Armuth hindert der Ehren viel; Kunst ohne Geld ist Affenspiel. Armuth lehrt geigen. Reichthum ist gut für Armuth. Reichthum hat Adlers Federn, sie lassen sich nicht bannen. Mit leeren Händen fahet man keine Falken. An Armer HHooffffaarrtthh_wwiisscchhtt der Teufel seinen Hintern. Und so Hunderte. Immer wird es der Arme, der Verlassene, der Hülflose, der Unterdrückte sein, dem selbst in der Sage der urtelnde Sinn des Volkes zu Hülfe kommt. Dem armen Zitherspieler, welchem die heilige Kümmerniß ihren goldnen Schuh schenkte, da er vor ihr sang, schenkt sie auch den andern, als er des Diebstahls verdächtig, zum Tode geführt wird und rettet ihn. Die Armen speist und kleidet Elisabeth; die reichsten Fundgruben in Schachten und Stollen werden von armen und geringen Grübnern entdeckt (Grimm I. S. 157. ), so wie sie durch die Hoffarth der reichgewordenen Bergbebauer wieder eingehen, wie die Gasteiner Sage von der reichen Weitmoserin beweist. ( S. Maßmann: Bayerische Sagen, I. 87.) Immer liegt die Moral in solchen Sagen, daß Segen bei dem Reichthum ist, sei er durch Arbeit oder durch Glück gewonnen, so lange derselbe nicht mißbraucht wird, und nicht zu Verschwendung, zu Uebermuth und Frevel angewandt wird. Unverdiente Armuth steht in der Volkssage fast immer ehrenhaft da. Da gegen erscheint mit schimpflicher Armuth gestraft sehr häufig hochfahrender und übermüthiger Reichthum. Berfolgte, gekränkte und gemordete Unschuld wird gerechtfertigt und gerächt. Auch hier gestaltet die Sage sich meist als Vertreterin der 'sittlichen Weltordnung in dem Volksleben. Man denke an den Goldschacht zu Reichmannsdorf, wo ein unschuldiger Jüngling des Diebstahls verdächtig, gehenkt wird, und die Mutter das Bergwerk verflucht, welcher Fluch sich auch erfüllt; sehr ähnlich wiederholt sich dieselbe Sage in der Nähe von Ranis; auf dem Harz kam Gleiches vor (s. Grimms D. S. I. 97), wo dem. Rumpfe des unschuldig Gerichteten statt des Blutes zwei schneeweiße Milchströme entsprangen, seine Unschuld an den Tag kam, die Gruben aber sich verschütteten. Als die Kaiserin Kunigunde in Bamberg ihrem Gemahl, Kaiser Heinrich IV. bis zu der Stelle entgegenging, die man noch heute Kunigundens Ruhe nennt, und der Nahende sie der Untreue beschuldigte, nahm sie ihren Trauring vom Finger, warf ihn nach dem eine Stunde weit entlegenen Bamberger Dom, und durch die große Glocke hindurch, zum Wahrzeichen ihrer unbefleckten Ehre; das Loch, durch welches der Ring flog, ist noch zu sehen; später bestand die Kaiserin selbst die Feuerprobe. Hierher gehörig ließen sich noch eine Menge Sagen anziehen. Ueberhaupt lehrt und predigt immerfort in den lebendigsten Beispielen die Volkssage den folgenden Ausspruch: Die Tugend wird belohnt, das Laster bestraft. Hierher deuten wieder die Jungfernsprung - Sagen, dann aber hauptsächlich jene unzähligen von irrenden Geistern, Feuermännern und gespenstigen Schäßehütern. Das Volk übt sein Gottesurtheil, es kennt das de mortuis nil, nisi bene, nicht. Wer unrecht Gut erwarb und barg, wer Geld erpreßte und das Armuth_drückte, wer Grenzsteine verrückte und Furchen von des Nachbars Acker abschnitt, wer in Feld- und Waldeindden Unschuldige oder auch sich selbst mordete, wer Vater oder Geschwistermord beging, der ist der furchtbaren Vehme des Volksrichterspruchs verfallen, und die Tradition läßt ihn lange keinen Frieden im Grabe, keine Seligkeit im Himmel finden; als Feuermann irrt er um die verrückten Grenzsteine , als wimmernder unfeliger Geist deutet er nach den Stellen, wo er seine Schäße vergrub, an scheinbar unbedeutende Kleinigkeiten ist seine Erlösung geknüpft, aber seine Erscheinung ist erschwert, und jene demnach in Jahrhunderte hinausgerückt.
Zum schwarzen Hund verwandelt, irren grausame Jäger, tyrannische Amtleute durch die Fluren. Mit Feuer straft das Volk. Noch heute kann man im Hennebergischen die Redensart hören, wenn von einem despotischen oder ungerechten Beamten die Rede ist: ,,der muß auch noch einmal als feuriger Mann umgehen. “ Hierzu eine Menge Belege in Grimms deutschen Sagen, namentlich I. Sage 281 und 285, auch in J. Grimms Deutscher Mythologie S. 515: „Ungerechte landmesser sieht man mit langer feuerstange in den furchen auf und abschweben und gleichsam das vermessene nachmessen; wer seinem nachbar abgepflügt, wer den stein verrückt hat, den trifft der fluch, umzugehn als irrwisch. beim pflügen zweifelhafter schnate hört man daher unter dem volk die redensart: ik mag nüt spüken gan .“ Wer unrecht Maaß oder Gewicht gebrauchte, muß ebenfalls umgehen, und solche läßt mehr als eine thüringische Sage in klagenden und schreckhaften Ausrufen: Drei Meßen für ein Maaß! Drei Quart für eine Kanne! Drei Viertel für ein Pfund! durch die Orte wandeln, wo sie trogen und täuschten. Wer falschen Eid schwört, dem wächst die schwörende Hand mit aufgereckten Fingern zum Grabe heraus, dieß ist allgemeiner Dorfglaube. Nie malt die ächte Volkssage das Laster reizend. Seine Personification ist der Teufel, er lebt und webt in Sünde und Schande, er lockt zur Frevelthat , aber er ist selbst wieder in vielen Sagen deren Rächer. So kommt in dem Glauben an ihn die ethische Wahrheit zur Erscheinung, daß die Sünde aus sich selbst ihre Strafe gebiert, wie Untreu, nach dem Sprüchwort, ihren eignen Herrn schlägt. Doch verläugnet sich auch in sehr vielen Teufelssagen der harmlose frische Mutterwitz, die Neckelust, der schalkhafte Humor des Volkes nicht, und spielt oft schadenfroh in mancher Sage dem armen oder dummen Teufel übel mit. Schwerlich hat eine andre Nation die Teufelsidee so vielseitig ausgeprägt und in sich verarbeitet, als die deutsche. So ist in den sonst so reichen und poetischen hellenischen Sagenkreisen keine Spur von dem ächten und kernigen Humor, der aus vielen deutschen Sagen herausblickt.
Das Gewissen wird in der Volkssage als sittliches Gericht anerkannt und geehrt. Hier will ich nur gleich an die bekannte Danhäusersage erinnern. Den edlen Ritter läßt es nicht ruhen und rasten im Venusberg, und er zieht von dannen, Vergebung seiner Sünden zu suchen. Die fand er nun nicht, vielmehr versagte sie grausam der Papst, da hub nach dreien Lagen der Stab an zu grünen. Nun erwacht auch des Papstes Gewissen, er schicket aus in alle Lande, wo der Danhäuser wäre hin kommen. Vergebens. Heinrich Raspe weinte bitterlich, als ihm die Räthe sein schweres Unrecht vorhielten, das er der frommen Elisabeth angethan, und er erbot sich alles zu thun, was er nur vermöge, die Gekränkte zu versöhnen, und that es auch. (Th. S. S. I. S. 193. ) Wem fiele nicht von selbst die Reue des Grafen Ludwig, welcher den Pfalzgrafen Friedrich erschlug, und seiner Gemahlin Adelheid ein, durch welche Reue Reinhardsbrunn gegründet wurde? Der Gründer des Klosters Sinnershausen, daß vordem Sündershausen hieß, trug aus Reue einen Stein auf der Brust, kein Kenotaph ist noch also zu sehen. Hundert Klostersagen und Legenden documentiren obigen Ausspruch. Reue versöhnt! spricht die Sage deutlich und oft wiederholend aus.
Gottesfurcht wird belohnt und vom Untergang gerettet, Gottlosigkeit von der Erde hinweggetilgt. Die biblischen Mythen vom Untergang Sodoms und Gomorras, wie von der Rotte Korah, finden in mancher deutschen Sage ihren wichtigen Nachhall. Hierher deuten die zahlreichen Ueberlieferungen von versunkenen Städten und Dörfern; man denke an Vineta, an Juvavia, an Stavoren. Im Thüringischen ist von mehr als einem Dorfe die Rede, das mit Mann und Maus in die Erde versank, wo nur wenige Gute dem Verderben entgingen, welches die Lasterhaftigkeit der Orte vom zürnendem Himmel rief. Man denke ferner an die übergossne Alp in Tyrol, an Frau Hütt daselbst (Grimm d. S. I. 233. ), an die Buben auf dem Unterharz, die ihr Brod verfluchten, mit Füßen traten und peitschten. Blut kam heraus und die Erde verschlang die Gottlosen allzumal. Wie häufig die Sage das Brod der Hartherzigen in Stein verwandeln läßt, ist in Grimms deutschen Sagen vielfach nachzulesen. Hierher gehören auch die schaurigen Sagen von den Mäusethürmen im Rhein und im Goplo - See. Immer ein strenger, aber gerechter Richterspruch aus dem Volksmund im Namen Gottes.
Fleckenloser Lebenswandel wird von der Volkssage als ein Verdienst und Gott wohlgefällig gewürdigt. Auf tausendfache Weise preißt und ehrt die Sage den makellosen Wandel. Hier hat schon die Religion und die Heiligenlegende vorgearbeitet, allein wenn wir auch das Wesen der Heiligkeit nicht nach dem Begriff der katholischen Kirche auffassen, sondern dasselbe als das ideale Streben nach höchstmöglicher sittlicher Vollkommenheit betrachten, so finden wir dafür in der Volkspoesie und der Sage die höchste Achtung documentirt. Statt aller zahllosen Heiligen der römischen Kirche will ich nur an die thüringische Elisabeth erinnern. Den Guten, den Reinen gesellt die Sage Engel zu, die sie leiten und führen. Immer noch, wie im deutschen Alterthum das ganze Volk, legt die Sage hohen Werth auf makellose Jungfräulichkeit und betrauert deren Seltenheit.
Mancher tiefverborgne und verzauberte (versetzte) Schatz könnte gehoben werden mit Hülfe einer reinen Jungfrau, wenn solche sich fände; wehe der unreinen Hand, die mit frevelnder Lüge ergreifen wollte, was der reinen beschieden; nur reine Jungfrauen können das Nothhemd spinnen und weben. Nur die Reinen können verwünschte Geister erlösen, und da in unsern Tagen sich diese Unschuld bei dem erwachsenen Geschlecht nicht mehr finden will, so läßt sich die Sage bis zu Kindern herab und hofft von diesen ein Glück, das jene nicht gewähren können, wie die Jungfrau auf dem Broteroder Burgberg (Th. S. S. II. S. 93. ), wo die Erlösung höffende Erscheinung selbst sagt;
Ein Knäblein von sieben Jahren
Mit weißen Haaren
Kann mich erretten.
Die Bedeutung der weißen Farbe und überhaupt die Bedeutung der Farben erscheint auch in der Sagenpoesie wichtig. So finde ich in einem alten Liede weiß als Farbe der Ausplauderei in Minnesachen bezeichnet, wo der Dichter sagt:
Sie heißen woll testerer
Die mit rocken lassen sehen
Was in guts ist geschehen
Von reinen seligen weyben
Der gern gerecht wär
Der soll die selben mer (Mähr)
Wissen vnd nietmanns mee
Sein lieb sein leyd sein woll sein. wee
Soll er fürbas nit sagen.
Für erscheinende Jungfrauen kennt die deutsche Volkssage, so viel mir bekannt ist, keine andre. Farbe als weiß, welche Farbe an sich schon die Unschuld, die Jungfräulichkeit andeutet.
Selbst an heilige Namen klammert sich die Sage und macht sie bedeutungsvoll, vor allen andern den Namen Johannes. Auf dem Ruppberg im Thüringer Wald ist ein Schaß damit verseßt, daß drei Erstgeburten, die alle Johannes heißen, dem Bösen zum Opfer gebracht werden müssen, bevor er gehoben wird. Hier schlägt auch die Sage von den zwölf Johannessen ein, die ein alter Zauberkönig auf dem Glücksschiff rund um die Welt fandte, und wovon alle Jahre einer dem Teufel verfiel. Als die Hennebergische Gräfin im Niederland 364 Kinder zugleich gebar, taufte man sie allzumal in einem Becken, das noch zu sehen und an hoffnungtragenden Frauen Wunder thut, und nannte die Knäblein Johannes, die Mägdlein Elisabeth. Nicht ohne hierher bezügliche Bedeutung möchte selbst der Umstand sein, daß im Mitteldeutschland und namentlich in Thüringen unter zehn Läuflingen sicherlich acht neben andern Vornamen auch Johannes getauft werden, und dieser Johannes stets voran steht. Sollte das bloß zu Ehren Johannes des Täufers geschehen ?
So wäre noch auf vielfache Weise anzuführen und nachzuweisen, wie die Volkssage lehrend, warnend und beruhigend wirkt, wie sie Eigennut, Geiz, Hochmuth, Faulheit, Müssiggang, Verschwendung 2c. bestraft, Fleiß, Freigebigkeit, Sparsamkeit, Redlichkeit belohnt, immer als abschreckende oder nachahmungswerthe Beispiele Kindern und Erwachsenen ihre Geschichten vor Augen stellt und dabei sogar häufig der Namen nicht schont, sondern keck und geradezu, und dadurch um so eindringlicher , aus jüngster Vergangenheit die Bestraften, wie die Belohnten nennt. Allein nicht bloß im Gebiet der Sitten- und Pflichtenlehre bewährt die Sage ihre heilsame Wirksamkeit auf des Volkes Thun und Lassen und auf dessen sittliche Charakterfortbildung, sie erhebt sich auch in das Gebiet der Ethikotheologie und hilft mit treuem Sinn die ehrabenen Güter dem Volke sichern, die als unsterblichewige Wahrheiten, als Glaube, Liebe und Hoffnung, als Gewähr der Fortdauer und der künftigen Seligkeit die Grundlagen der Religiosität und insbesondre der christlichen Religion bilden.
Der Glaube an Gott ist tief im deutschen Volke gewurzelt, von Gottesläugnern und Gottes lästerern giebt es eine Menge abschreckende Sagen. Auch jene damonischen Mittelwesen der Sage, Zwerge und Elbe, wissen von Gott, glauben an Gott und haben Hoffnung auf einen befsern, seligen Zustand. ,,Alle guten Geister loben Gott den Herrn! „ heißt die allbekannte und mächtige Zauberformel, vor welcher alle Nachtdämonen entweichen müssen, nur die Guten antworten darauf: ,,Wir loben ihn! “ Geister und Zwerge (auch Lodte) halten Kirche und Gottesdienst, sind andächtig, singen religiöse Lieder. Dieser sagenhafte Glaube ragt ja bis in die Neuzeit und in die Gegenwart herein bei den magneto - dämonischen Erscheinungen und läßt sich von da ab wieder auf ein ziemliches Alter zurückführen. Ist in jenen tausendfachen Sagen von verwünschten, verfluchten, gebannten Geistern, welche auf Erlösung harren, deren Zustand nicht als ein vertrauend- hoffender angedeutet, und richtet er nicht den Blick des Aufmerksamen darauf hin, daß Lohn und Strafe nach diesem Leben und ewige Fortdauer kommen wird? deutet er nicht eine Sühne irdischer Schuld, eine Läuterung des Geistes von unreinen Leidenschaftschlacken an? Es ist nicht etwa die haften gebliebene römisch - katholische Idee des Fegfeuers, die hier mit strafendem Richterspruch den Verbrecher als flammenden Irrwisch durch die Felder treibt, es ist tiefer begründet und vielleicht älter als der Christianismus. Diese Hoffnung auf endliche Erlösung ist auf mehrfache Art bedingt und gebunden, erstens an den Zufall, zweitens an Menschen, (oft an PrädestiNixte, mindestens besonders dazu geeigenschaftete, wie die Sonntagskinder), jedoch fast nie in die eigne Hand des Harrenden gegeben, oft auch soll sich eines dieser Bedingnisse gleichzeitig mit einem andern vercinigen. Als zufällige Erlösungsbedingnisse erscheinen in deutschen Sagen die Raben, die um die alte Warte von Kyffhausen fliegen sollen, der Birnbaum, der dort und auch auf dem Walserfeld blühen soll, der Kirschkern auf einem Burggemäuer, daraus ein Baum, aus dem Baume eine Wiege werden soll, wo nun endlich das Kind, welches zuerst darin geschaukelt wird, die Fähigkeit, aber auch nur diese, hat, den hoffenden Geist vielleicht, wenn alle andern Bedingnisse erfüllt sind, zu erlösen. Menschen können durch Schweigen beim Schatzheben die Gefesselten befreien, auch dadurch, daß sie, ohne unwillig zu werden, der niesenden Erscheinung dreimal, siebenmal, ja zwölfmal Gotthelf sagen. Hier wird von der Sage Hoffnung, Vertrauen, Glaube in Beispielen gepredigt und auf einen versöhnbaren Gott, auf eine Seligkeit nach der Buße, auf ein ewiges Leben hingewiesen. Es würde für den dermaligen Zweck dieser Abhandlung zu weit führen, noch ausführlicher darüber zu reden. Möchte der Unbefangene aus dem Gesagten und den belegenden Beispielen ersehen, daß die Volkssage außer ihrem poetischen Reiz und Werth auch wahrhaft ethischen Werth hat, daß sie dem Volk durch die Macht des Beispiels Lehren der Tugend, der Weisheit und der Frömmigkeit in das Herz streut, es auf rechtem Weg wandeln heißt, es an treue Pflichterfüllung mahnt, die schützende Hand Gottes, die wachende Vorsehung erkennen lehrt, daß sie Unschuld, Tugend und Herzensreinheit hochstellt und das Laster mit ungeschminkter Larve zeichnet, daß sie vom Hochmuth abräth, vor Verschwendung warnt, zufriedne Armuth und gutes Gewissen höher ehrt, als unzufriedenen Reichthum und beflecktes Bewußtseyn, daß sie immer und unaufhörlich wie ein frischer lebendiger Wasserstrahl aus dem dunkeln Schacht und Felsgeklüft der Erdennacht emporsteigt und nach oben weißt, und auch dadurch verkündet, wie sie als Mittel dem Zweck einer höhern moralischen Weltordnung dient, und nicht bloß der Langeweile der Spinnstuben und der Phantasie der Dichter.
Was ist früher geschehen für diesen Nervenäther des deutschen Volkslebens, welcher dessen Körper auf das innigste durchdringt? Man hat ihn unbeachtet gelassen, die Geschichte wandte der Sage stolz den Rücken, die Theologie eiferte gegen sie als Aberglauben; die Forschung hatte zu viel, zu thun mit Griechenland und Italien, mit Persien und Hindostan, mit China und Japan, mit Gallien und Scandinavien. Die Masse verlachte die ewig waltende, sich still fortbildende und fortpflanzende Volkspoesie der deutschen Sage als dummes Zeug, nur etwa einen Dichter trieb es in die einsame Flur, in den rauschenden Wald, und 'es säuselte um ihn die wunderbare Stimme der Natur, es murmelte eine Quelle, es sang ein Vogel, und die Sage gewährte ihm die Gunst, in ihr jungfräuliches Antlitz zu schauen. Erst wenige Würdige begannen, vom sprachlichen, vom ethnographischen, vom mythologischek, wie vom dichterischen Standpunkt aus, die Sage höher zu stellen, möchte man deren ethischen Standpunkt nicht aus den Augen lassen! Hier ist ein Fingerzeig namentlich für Landgeistliche und Landschullehrer gegeben. Sie können für Wissenschaft und Kunst unendlich viel brauchbares Material sammeln, sie dürfen nur fragen, hören und aufzeichnen, wo es möglich, auch in Dialekten, um zugleich der Sprache zu nüßen. Niemand wird so borNixt sein, zu glauben, es könne oder es solle sogar dadurch der Aberglaube gefördert, die Aufklärung gehindert, der fördernde und strebende Schritt der Zeit gehemmt , das reine Licht der Religion und der Wahrheit verdunkelt werden. Vor solchem Bestreben behüte uns Gott! Als Gleichniß, als Parabel, als Dichtung, als Poesieblüthe des Volkslebens neben dem Spruch und dem Lied achte man die Sage, so lasse man sie dem Volk, so lehre man das Volk sie würdigen, und im Uebrigen überlasse man dasselbe seinem gesunden Sinn.
Es sind nur Andeutungen, die ich über den ethischen Werth der deutschen Volkssage hier geben konnte, doch könnte es, um anregen zu helfen, einstweilen genug sein. Gewänne ich ihr auch dadurch nur einen Freund, der sie bisher nicht kannte oder gar verkannte, erweckte ich auch nur in einem den Sinn, ihrer zu achten und ihrem leisen Schritt mit sorgsamen Auge, mit aufmerksamen Blick zu folgen, ihre Waldesgeheimnisse zu erlauschen und gleichen Weg mit mir zu gehen, so wäre mir das ein willkommener und hocherfreulicher Lohn.