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Unweit der Kuppe des Oechsenbergs in der Nähe des Hofes Poppenberg wird eine Stelle an dem sich von Völkershausen hinauf windenden Fahrwege „im Keller“ genannt. Sie ist durch mächtige Trümmer sechs- und achtkantiger Basaltsäulen, die sich von der nahen Felswand losgeriffen, bezeichnet. Hier soll einst das alte Schloß gestanden haben.
In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, so wird erzählt, hütete einmal der Schloßschäfer von Völkershausen seine Heerde auf einer südwestlich gelegenen Waldwiese, welche von einem entsprudelnden Duelle, Jungfernborn, die Jungfer genannt wird. Es war ein heißer Mittag und der Schäfer ging zum Born, um zu trinken. Da erblickte er in der Nähe eine schöne goldgelbe Blume, wie er noch keine gesehen, pflückte sie, steckte sie an seinen Hut und legte sich über die Quelle. Als er sich wieder erhob, sah er zu seinem Schrecken dicht neben sich eine gar prächtige, weißgekleidete Jungfrau, die ihren Krug jezt ebenfalls an dem reichen Quell füllte. Wie sie damit fertig war, wandte sie sich mit freundlichem Lächeln an den Schäfer und sprach: „Komm und folge mir!“ Und da die Heerde sich gerade gelagert hatte, so folgte der Schäfer der freundlichen Erscheinung auf dem nach der Kuppe führenden Eselspfade bis an jene Stelle, die „im Keller“ genannt wird, wo er zu seinem Erstaunen eine noch nie gesehene und von einem großen schwarzen Hund1) bewachte Thür vor sich sieht. Auf das Geheiß der Jungfrau hält der Schäfer die Blume an das Schloß, die Thür springt auf und bald folgt er der Führerin in das Innere des Gewölbes. Hier erblickt er eine Menge theils aufgeschlagener, theils aufrecht stehender, theils noch festverspundeter Fässer. Gedankenlos legt er die Blume auf eins der ersteren, die mit allerlei Feldfrüchten von noch nie gesehener Größe und außerordentlichem Glanze angefüllt sind. Hierauf steckt er von jeder Sorte eine Hand, voll zum Wahrzeichen für seine Nachbarn ein und wendet sich dann zum Fortgehen. Da vernimmt er von der seinen Augen entschwundenen Jungfrau noch die Worte: „Schäfer, vergiß das Beste nicht!“
Der aber denkt nicht an die Blume, eilt aus dem Gewölbe, dessen Thüre ihm hinter der Ferse zuschlägt und springt, von dem schwarzen Hund verfolgt, über Hals und Kopf nach seiner Heerde zu, wo er bald, leider aber ohne das eingesteckte Wahrzeichen, ankam, denn die Körner waren ihm nach und nach aus den durchlöcherten Taschen gerieselt. Einige waren ihm in die Schuhe gefallen, und da sie ihn drückten, sah er nach und siehe: es war das eitel pures Gold. Später ist der Schäfer noch oft nach dem Born und nach dem Keller gegangen, hat aber weder die Jungfer noch die Thüre wieder gesehen.
In jenen verspundeten Fässern aber soll der köstliche Wein enthalten sein, der am Ende der Welt den aus den Gräbern Auferstandenen beim großen Abendmahl gereicht werden soll.
Quellen: