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Mündlich. L. Storch Vörwerts -Häns S. 209 ff. L. Bechstein Sagenschatz des Thüringerlandes I, 145.
Nicht weit von Mächterstedt am Wege nach Sättelstedt ist links einige hundert Schritte vom Wege abseits beim verfallenen Hochgericht ein herrliches klares Brünnlein zu finden, das dort alle Leute kennen und gerne trinken. Bei dieser Quelle hütete einmal der Mächterstedter Hirte am Berge und ging in der heissen Mittagsstunde dahin sich zum Mittagsbrod einen frischen Trunk zu holen und im Schatten der Bäume, die das Brünnlein umstehen, ein Stündchen der Mittagsruhe zu pflegen. Der Hirte erstaunte aber nicht wenig, als er nahe am Brunnen einen noch nie gesehenen Hügel mit einer geöffneten Thür erblickte. Er vergaß das Trinken, trat zur Thüre und sah in einen langen, sonderbar erleuchteten Gang, durch welchen eine weissgekleidete Jungfrau auf ihn zuschritt. Ihr Kleid und Schleier waren altmodisch aber blendender als der Schnee, ihr Gesicht mild und schön, aber bleich und schmerzvoll. Am Eingang der Pforte blieb sie stehen und sah den Hirten bittend an, der in seiner Verlegenheit nicht wusste, was er thun sollte; er hatte weder das Herz sie anzureden noch davon zu laufen. Da erblickte er plötzlich oberhalb des Brunnens drei wunderschöne Blumen aus einem Strauche gewachsen, die ihm noch nie vor die Augen gekommen waren, so lange er auch die Heerde geweidet und alle Blumen der Umgegend dabei kennen gelernt hatte, und er ging hin und pflückte die Blumen ab. Als er sich dann nach der Jungfrau umfah, waren ihre Gesichtszüge heiter geworden und sie sprach zu ihm: „nun kannst du mich erlösen, wenn du hier hinein gehst, aber vergiss auf deinem Rückwege das Beste nicht.„ Der Hirt fasste sich ein Herz, trat in den geöffneten Berg, ging durch den langen Gang, kam durch viele hellglänzende Kammern und Gemächer, darin eine nie gesehene Pracht und Herrlichkeit, auch eine unermessliche Fülle von Gold und Edelsteinen zu schauen war. Zuletzt betrat er auch einen grossen Saal. Darin sassen viele Ritter und Frauen an einer reichbesetzten Tafel; die Schüsseln dampften, der Pokal ging fleissig in die Runde, aber Niemand gab einen Laut von sich, nicht das geringste Geräusch war zu hören. Der Hirt besah sich alles ganz genau, doch zuletzt überkam ihn in dieser unheimlichen Gesellschaft Angst und Grauen und er dachte wieder an den Rückweg, ehe er aber ging, sah er sich nochmals in dem wunderbaren Gemache um. Ein schönes Trinkhorn fiel ihm da in die Augen, das unter drei gekreuzten Schwertern an der Wand hing. „Das willst du dir als ein Andenken mitnehmen ,“ dachte er bei sich und legte die Blumen, die er noch in der Hand hielt, auf einen Tisch, langte das Horn von der Wand herunter, betrachtete daran die schöne Arbeit und ging dann aus dem Gemach hinaus ohne an seine Blumen zu denken, und eilte durch die langen Gänge nach dem Ausgange zu. Die Jungfrau trat ihm wieder entgegen, blickte ihn traurig an, seufzte und bat flehentlich: „vergiss das Beste nicht, sonst muss ich ewig unerlösst bleiben!„ Aber zugleich erhob sich im Innern des Zauberschlosszes ein dumpfes Getöse, die Jungfrau wurde von unsichtbaren Händen zurückgezogen, obwohl sie sich sträubte und klägliche Jammertöne ausstiess, der Hirt aber stürzte angstvoll mit seinem Horn zur Pforte hinaus ins Freie. In demselben Augenblicke schloss sich rasselnd die grosse eiserne Thür, der Hügel sank in die Erde und der Platz am Brunnen war wieder derselbe, wie ihn der Hirt vorher alle Tage gesehen hatte. Unter der Erde aber hörte er die Jungfrau jammern und alle Mittage, wenn er zum Brünnlein ging, legte er das Ohr an die Erde, hörte das Klaggetön und weinte, dass er die Blumen vergessen hatte.
Noch jetzt wollen viele Leute jener Gegend zu gewissen Zeiten des Jahres eine weibliche Stimme jammern und klagen hören.
Quellen: