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Eine mündliche Überlieferung aus Nagold
In Schwandorf bei Nagold gab eine Mutter ihrem Kind, so oft sie ins Feld musste, einen ganzen Hafen voll Milch und ließ das Kind damit allein im Garten. Da wunderte sich die Mutter, dass die Milch jedes Mal rein ausgegessen war, wie groß der Hafen auch sein mochte. Und weil das Kind sagte, es komme immer ein Vöglein und esse mit, so passte die Mutter eines Tages auf und sah, dass alsbald eine Schlange aus der Mauer hervorkroch und mitaß. So oft das Kind einen Löffel voll genommen hatte, steckte die Schlange ihren Kopf in den Hafen und trank, und so ging das fort, eins ums andere. Dabei wurde die Schlange nicht böse, als das Kind sie mit dem Löffel auf den Kopf schlug und sagte: »Iss et no Ilch, iss au Ickle!« (Brickle, d. i. Bröckle) Nach dem Essen legte sich die Schlange dem Kind in den Schoß und spielte mit ihm. Als die Mutter sah, dass sie dem Kind nichts zuleide tat, ließ sie diese gewähren und gab ihr auch später, als das Kind schon erwachsen war, noch lange Zeit allein täglich ihre Milch.
Solche Schlangen darf man nicht töten. Es bringt dem Kind sonst Unglück und kann ihm selbst das Leben kosten.
Quelle: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, gesammelt von Dr. Ernst Meier, Stuttgart, Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung, 1852