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Erdwichtele 3

Des Winters kamen die Erdwichtele gewöhnlich zweimal in der Woche zum »Vorsitzen«, d. h., sie setzten sich in den Spinnstuben neben die Spinnerinnen hin, und zwar, wie es Sitte ist, auf die linke Seite. (Wer sich zur Rechten der Spinnerin setzt, von dem sagt man gleich »der hat Hunger!«, weil nämlich die Mädchen rechts die Tasche tragen und darin gewöhnlich allerlei zum Naschen mitbringen. Man vermutet deshalb, ein solcher wolle die Taschen plündern. Außerdem würde man auf der rechten Seite die Spinnerinnen hindern, ihre Spindel frei zu bewegen.) Genug, die Erdwichtele machten es gerade so wie die Bauernburschen. Weil sie aber so sehr klein waren, so setzten sie sich nicht etwa auf einen Stuhl, sondern auf das Kunkelstühlchen, ganz unten zu den Füßen der Mädchen und unterhielten sich mit denselben, trieben auch allerlei Scherz und Mutwillen, indem sie die Mädchen am Rock zupften, in die Waden kniffen und dergleichen. Einst wollte ein Mädchen das nicht mehr leiden, weil es das Erdwichtele zu weit trieb, und gab ihm deshalb einen Fußtritt. Allein das Männle blieb fest auf seinem Platz sitzen, dass das Mädchen ganz ärgerlich ausrief: »Der Blitzdreck fällt erst nit um!«

Ein anderes Mädchen, das auch eines Abends vor dem Mutwillen der Erdwichtele keine Ruhe hatte, sagte endlich: »Ei, wir wissen ja, wie ihr heißt!«

»Nun, wie heißen wir denn?«, sprachen sie alle verwundert.

»Erdwichtele«, sagte das Mädchen. Da gingen sie auf der Stelle fort und sind nie wieder gekommen. Es leben aber noch Leute, die sie mehrmals gesehen haben wollen.

Quelle: Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, gesammelt von Dr. Ernst Meier, Stuttgart, Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung, 1852