<<< zurück | VIII. Schätze, Schlangen, Drachen | weiter >>>
Zur Mittagszeit im Heumachen hatte sich eine Frau aus Schotten, die in dem Wiesgrund unter dem Altenburgskopf, der die Michelbach heißt, sich müde geschafft hatte, eben mit ihrem Kopf auf einen großen Stein gelegt, um ein wenig zu schlafen. Wie sie so da lag, sah sie vor sich eine wunderbar schöne rote Schlüsselblume auf dem Boden stehen. Sie blickte unverwandt danach. Weil ihr dieselbe immer besser gefiel, stand sie auf und brach sie ab. Als sie den Kopf wieder umwendete, ringelte sich auch eine große graue Schlange auf demselben Stein auseinander, auf welchem sie eben mit dem Kopf gelegen hatte, als wäre sie durch ihr Aufstehen aufgescheucht. Die Frau reute es in diesem Augenblick, die Blume gebrochen zu haben, denn sie dachte: Was wäre das für ein Zierrat in deinem Gärtchen gewesen, wenn du sie mit der Wurzel ausgestochen und dahin gepflanzt hättest!
Als sie sich noch eben diese Betrachtung machte, erscholl in der Luft eine gar jämmerlich klagende Stimme: »O, hättest du gewartet bis morgen Mittag zwölf Uhr, so hättest du in der Blume die Schlüssel zur Altenburg und damit dein Glück gefunden!«
Nun sah sich die Frau nach der Schlange um, allein diese war mitsamt der Blume unbegreiflicherweise verschwunden.
Quelle: Oberhessisches Sagenbuch, Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald; Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873