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Die letzte Schlossjungfrau von Merlau

Das Merlauer Schloss sollen drei weiße Jungfrauen erbaut haben, wie jedermann in der Umgegend weiß. Von ihnen ließ sich zuletzt, als schon das Schloss wüst stand, nur noch eine sehen. Diese hatte ihren Gang immer zur Herrnmühle, war weiß angetan von Kopf bis Fuß und trug mit Seufzen ein großes Bund Schlüssel in der Hand. Man hat nie gehört, dass sie einen Menschen angesprochen hätte. Wie aber der Schlossplatz dem Erdboden gleichgemacht und die letzte Mauerwand weggebrochen wurde, sah man sie noch einmal vor Sonnenaufgang am alten Wallgraben sitzen und immer dünner und durchsichtiger werden, bis sie gleich dem Morgennebel und Tau der Wiesen vor dem kommenden Tageslicht in Dunst zerfloss. Seitdem hat alle Spur von ihr aufgehört.

Quelle: Oberhessisches Sagenbuch, Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald; Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873