[[sagen:tss2122|<<< zurück]] | **[[capitel:tss2000|Sagen aus Thüringens Frühzeit, von Ohrdruf und dem Inselberge]]** | [[sagen:tss2201|weiter >>>]] ====== Sagenkreis von Ohrdruf - Einleitung ====== Siehst, Wandrer, Du den Riefenleuchter stehen,\\ Erhellt vom goldnen Morgensonnenstrahl,\\ Und zieht Dich's mächtig nicht nach jenen Höhen?\\ Hinauf, hinauf aus dem beschränkten Thal,\\ Der, Riesenleuchter ist an alte Zeiten \\ Ein heil'ger Denkstein, ein Erinnrungsmal.\\ Um die heitere Stadt im Thale der Ohra, die, dem Phönix gleich, zu mehren Malen aus Brand und Asche verjüngt wieder auferstand, flatterte zuerst im Morgenroth der Zeit die Oriflamme des Christenthums. Um ihr Weichbild, um ihre Marken, und die ihr im Kreis einiger Stunden nahe liegenden Orte reihen sich nicht nur die schönen Sagen von der unter göttlichen Mirakeln erfolg ten Einführung der Lehre des Heilands in Thüringen zu einem heiligen Palmenkranz, sondern die ganze Gegend ist sagen und mährchenreich, und erklingt vom Schwerterklang des Ritterthums, vom Legendenton der Klostereinsamkeit, wie von der einfachen Kunde, die an Weg und Steg, an Fels und Bach, an Berg und Thal dort haften blieb. Hoch und hehr ragt die Erinnerungssäule an Bonifacius Wirken über Altenberga empor, und im Gebüsch birgt sich der einfache, mit Akanthusblättern gezierte, wieder aufgefundene Laufstein der alten St. Johanniskirche, deren Fundament jeder Wanderer wenige Schritte von dem Kandelaber gewahren kann. Die Klosterruinen von Aselverod schlafen tiefen ewigen Schlaf, die starken Bäume, die aus dem Mauerschutt erwachsen, rauschen das Schlummerlied des Friedens sanft säuselnd über sie hin. Der Hörlingsbrunnen bei Ohrdruf quillt noch, und aus dem Luthersbrunnen bei Lambach rieselt noch die erquickende Labefluth, die den ewig theuern Mann stärkte. Mancher Orts und Bergname in dieser Gegend könnte bedeutsam erscheinen und an die Frühzeit, ihre Götter und ihre Völker mahnen: Herda, ein Hof bei Ohrdruf, und die Harth, ein Berggehölz mit einem Erdfall nahe bei diesem Hof. Auch in der Nähe ein Wiesenfleck: Der heilige See genannt. Katterfeld, ein Dorf, und das Hünenloch bei Tambach, wenn diese Benennung nicht erst in der Neuzeit erdacht und gemacht wäre. Das Götzenthal, bei Espenfeld, welches von der öden Bergebene über den Tambuch sich in der Richtung nach Arnstadt hin erstreckt; Frankenhain, ein Dorf am Walde, und andres. Es ist gleichsam, wenn wir wenige einfache Ueberlieferungen abrechnen, ein Kreis religiöser Mythen, den wir hier betreten, mehr Geruch der Heiligkett, als Waldes frische, mehr Duft nach Weihrauch und Altarkerzen, als Blumenarom und Bergluft, mehr Weihwasser, als kühlende Springfluth lebendiger Quellen. Der Himmel erglüht und thut sich auf, die Engel steigen nieder, das Wunder tritt auf die thüringischen Berge, und es geht ein, Klingen durch die Räume des Aethers, wie in jener heiligen Nacht, da der Heiland geboren wurde. Und da jeßt sein Stern über Thüringen erst aufging, so konnte diese Fülle der Erscheinungen wohl ein Echo jener Nacht und eine mysteriöse Wiedergeburt des Erlösers sein. //Quelle: [[autor:bechstein|Ludwig Bechstein]] - [[buch:tss|Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes]], Meiningen und Hildburghausen, 1857, Verlag der Kesselringschen Hofbuchhandlung// ---- {{tag>vorwort bechstein tss}}