[[sagen:oberharz107|<<< zurück]] | **[[capitel:sagen_der_bergstadt_altenau|Sagen der Bergstadt Altenau]]** | [[sagen:oberharz109|weiter >>>]] ====== Das Schloß im Gerlachsbache ====== Da wo jetzt hinterm Glockenberge und unterm Röhrenteiche im Gerlachsbache der große Bruch ist, soll früher, so erzählen die Alten, ein mächtiges Schloß gestanden haben, welches aber keinem Ritter oder Grafen, sondern einer unverheiratheten Frau gehört haben soll, die in der Umgegend nur schlankweg die Schloßfrau geheißen hat. Sie hat ihren Gefallen daran gehabt, Frauen und Mädchen, die sich auf der Landstraße haben blicken lassen, einzufangen und in ihr Schloß, das mit hohen Mauern umgeben gewesen ist, zu sperren. Die Zahl der Eingefangenen ist schon sehr beträchtlich gewesen. Einst haben ihre Spione auf der Landstraße ein Hirtenmädchen aufgefangen und zu der Herrin aufs Schloß gebracht. Aber das Hirtenmädchen ist dem heiligen Antonius geweiht gewesen. Da nun jede eingefangene Frau ihre bestimmte Beschäftigung gehabt hat, und die eingefangenen Mädchen ihrer Herrin haben aufwarten müssen, so hat die Schloßfrau dem Hirtenmädchen einen Kasten mit Schlüsseln und dazu noch ein großes Bund Schlüssel umgehängt, damit diese ihr gleich zur Hand wären, wenn sie selbst ihrer bedürfte. Das Schloß hat ein Garten umgeben, da hinein haben die eingefangenen Mädchen nach einiger Zeit wol gehen dürfen, aber nicht durch ein Thor hinaus ins Freie, das in der Gartenmauer gewesen ist. An allen Ecken und Enden haben Spione und Schildwachen gestanden, damit, wenn ja einmal eine Gefangene eine Miene zum Entfliehen hätte machen wollen, sie gleich wieder hat zurückgeholt werden können. Eines Abends ist das Hirtenmädchen auch in den Garten gegangen und hat sich in eine Laube desselben gesetzt. Hier kniet es nieder und ruft den heiligen [[vip:Antonius]] an, es doch aus dieser Knechtschaft zu befreien. So wie es ausgeredet hat, kommt ein kleines graues Männchen daher und fragt das Mädchen, was es denn weinte und was ihm denn eigentlich fehle? Das Mädchen antwortet hierauf: ihm erginge es hier sehr übel, denn es wäre von seinen Aeltern genommen und auf dies Schloß gebracht worden, wo es nun in der Gefangenschaft schmachten müsse. Es habe soeben den heiligen Antonius angerufen, daß derselbe es aus dieser Gefangenschaft erlösen möchte. Da sagt das graue Männchen: »Ich bin der heilige Antonius; ich habe dein Flehen wol gehört und deine Bitte soll dir auch gewährt werden. Du und alle Eingefangenen, ihr sollt von dieser Stunde an frei sein, aber das Schloß mit allen seinen Reichthümern und Kostbarkeiten soll untergehen und die Schloßfrau soll, zur Strafe für ihre Missethat, deine Bürde, die du getragen hast, tragen und vierhundert Jahre auf diesem Berge (und hiermit soll er auf den nahe bei dem Schlosse gelegenen Glockenberg gezeigt haben) mit dieser Bürde walten gehen. Eher soll sie von Gott nicht erlöst werden; wenn aber eine reine unschuldige Jungfrau aus Barmherzigkeit ihr die Bürde abnimmt, so soll sie doch vor Gott Gnade finden und vor ihrer Zeit noch erlöst sein.« Wie der heilige Antonius dies ausgesagt hat, da thut's aus einmal einen Knall und das Schloß sammt seinen Gärten und Mauern ist von der Erde verschwunden. An seiner Stelle ist jetzt ein großer Bruch. Alle Eingefangenen sind auch von diesem Augenblicke an in ihre Heimat versetzt gewesen; aber die Schloßfrau steht auch in demselben Augenblicke, da dies geschehen, verwünscht auf dem Berge, einen Kasten vor sich tragend und ein großes Bund Schlüssel daran. Nun hat sie aber, wenn ihr Menschen begegnet sind, was öfters der Fall gewesen ist, weiter nichts sagen dürfen, als: »Huk up, huk af.« Viele, die sie gesehen haben und ihr begegnet sind, aber nicht gewußt haben, was dieses »Huk up, huk af« zu bedeuten gehabt hat, sind vor dieser unheimlichen Gestalt geflohen; sie aber hat keinem Menschen etwas zu Leide gethan. Von Zeit zu Zeit hat sich nun das untergegangene Schloß wieder aus der Erde sehen lassen, ist aber dann bald darauf wieder verschwunden. Wer so glücklich gewesen ist, dies zu sehen, der hat nur Etwas von seinem Zeuge, seine Mütze, Hut oder sonst Etwas, oder was er gerade in der Tasche gehabt hat, darauf zu werfen brauchen, dann ist das Schloß stehen geblieben und hat Jenem dann als Eigenthum gehört. Einstmals hat in der Nähe ein Köhler gekohlt. Dieser hat zwei Mädchen gehabt, welche Wasser zugetragen haben. Eines von diesen kommt nun und will aus der Tränke im Thale Wasser holen. Es sieht sich einmal um und da vor ihm steht ein großes mächtiges Schloß mit Gärten und Mauern. Wie es dies sieht, läßt es gleich seine Eimer stehen und läuft, erschreckt über diese Erscheinung, so schnell als möglich zu seinem Vater und erzählt ihm, daß da im Thale ein großes schönes Haus stände, was es früher da nicht gesehen habe (denn es hat von der ganzen Geschichte nichts gewußt). Gleich fragt der Köhler, ob es denn nichts darauf geworfen hätte, und als das Mädchen dies verneint, da gibt er ihm eine Ohrfeige und schilt es kurz und lang aus. Dies ist aber das letzte Mal gewesen, daß das Schloß wieder zum Vorschein gekommen ist. Wäre das Köhlermädchen nun hingelaufen und hätte Etwas daraufgeworfen, so hätte ihm das Schloß gehört. Die [[wesen:schlüsseljungfer|Jungfrau mit den Schlüsseln]] (so ist sie immer genannt) hat ihre Zeit aber müssen durchwalten. Viele haben sie gesehen und sind ihr begegnet, ja, selbst Alte, die ich noch gekannt habe, behaupteten, sie gesehen zu haben. Einer Namens F... behauptete steif und fest, daß, als er eines Sonntags Morgens im Kirchenholze Weden bei einem Feuer gedreht und sich einmal aufgesehen habe, die Jungfrau mit den Schlüsseln vor ihm gestanden hätte. //Quellen:// * //[[buch:sagenoberharz|Sagen des Ober-Harzes und der Gegend von Harzburg und Goslar bis zur Grafschaft Hohenstein und bis Nordhausen]], gesammelt und mit Anmerkungen herausgegeben von [[autor:proehle|Dr. Heinrich Pröhle.]], 1853, Brockhaus Leipzig;// ---- {{tag>sagen proehle sagenoberharz harz altenau schloss entführung jungfrau antonius schlüsselbund fluch köhler schlüsseljungfer v2}}